Wie mich eine Tiroler Oma darin bestärkt hat, dass es sich lohnt, fremde Menschen reinzulassen
Ich bin ein Schisser, wenn es um Dinge geht, die mir fremd sind. Vor allem, wenn ich fremde Menschen kennenlerne. Bevor ich mich auf jemand Fremden einlasse und mich preisgebe, bleibe ich lieber an der Oberfläche oder spiel irgendeinen Stuss vor. Zu groß die Angst, dass mich jemand mit all meinen vermeintlichen Schwächen kennenlernt. Angst vor Zurückweisung. Am Ende stehe ich alleine blöd da. Aber vielleicht ja auch nicht. Seit diesem Sommer habe ich deutlich mehr Lust aufs Fremde bekommen. Maßgeblich dazu beigetragen hat eine Oma mit Feuer im Hintern und einem großen Talent fürs Stricken.
Im August war ich auf einer Alleine-Abenteuerreise durch Österreich. Losfahren, anhalten, Neues kennenlernen. Nach einigen Stationen bin ich in Seefeld gelandet. Mit meinem Landstreicher-Outfit habe ich nicht wirklich in den dortigen Luxushotelwald gepasst. War aber ok, weil ich mittlerweile einiges an Selbstvertrauen im Umgang mit fremden Welten gesammelt hatte. Auf der Suche nach einer gemütlichen Kneipe bin ich schließlich in „Putzi’s Pub“ gelandet. Herrlich verraucht und vor allem wenig los. Kurz Pause vom fremden, rein in die Gemütlichkeit. Die Vokuhila-Bardame Susi hats mir direkt angetan. Ihre wuchtigen Ansagen und stahlharten Blicke – ein Traum. Und dann kam Hilde.
Auf den ersten Blick einfach eine ältere, gepflegte Seniorin. Aber was macht die in Putzi’s Pub? Interesse geweckt. Susi hat sie auf den Schemel neben mich gelotst. Hilde und ich haben uns von Anfang an gut verstanden. Gegenüber ihr hatte ich keinen Schiss, mich preiszugeben. Ich habe von meiner Alleine-Reise erzählt, habe ihr meine verstorbenen Liebsten vorgestellt und noch mehr Seelensaft ausgeschenkt. Sie auch. Als die dicksten Bretter am Tresen lagen, haben wir angefangen, einander Witze zu erzählen. Sie hatte eine Menge auf Lager, ich nicht. Nur einen über drei Frösche, den ich von meiner Freundin kenne. Hilde war begeistert. Susi auch. Der musste ich den Witz nämlich auf Hildes Wunsch auch erzählen. Die beiden kennen sich schon länger. Hilde sei so etwas wie die gute Seele des Pubs, hat Susi gesagt.
Stunden sind vergangen und irgendwann wollte Susi dann auch Schluss machen. Ich habe Hilde meine Nummer gegeben und wir haben uns bei Whatsapp verbunden. Silver-Surfer-Hilde. Sie hat mir dann noch gesagt, dass sie sich bei mir melden wird wegen der Stulpen, die sie für mein Trachtenoutfit stricken will. Ich habe ihr nämlich von meinem Plan erzählt, peux à peux eine Tracht zusammenzutragen, mit der ich beim nächsten Kirtag glänzen kann.
Für mich war der Abend rund. Rund und abgeschlossen. Vermutlich würde ich mich bald fragen, wer Hilde ist, wenn ich durch meine Kontaktliste skippe. Hilde hat mich eines besseren belehrt. Knapp anderthalb Monate später ruft mich Hilde per Whatsapp-Call an. Vollkommen von den Socken gehe ich ran. Sie wolle nochmal wegen der Farbe für die Stulpen nachfragen. Und meinen Wadlumfang brauche sie auch. Den Froschwitz habe sie mittlerweile vielen Freundinnen erzählt und viele Lacher kassiert. Sie erinnere sich so gerne an den gemeinsamen Abend zurück. Ich auch.
Mittlerweile liegen Hildes Stulpen in meinem Kleiderschrank und warten auf den ersten Kirtag-Auftritt. Ich trage die Dinger mit so einer großen Freude. Wie kaum ein anderes Kleidungsstück. Natürlich habe ich mich revanchiert. Mit einem Witzekalender. Für nächste Date in Tirol soll sie schließlich gut vorbereitet sein. Dass wir uns wiedersehen, steht für mich fest. Ob diese Freundschaft hält, weiß ich nicht. Vielleicht öden wir uns auch beim nächsten Treffen an und alles war nur Schall und Rauch.
Ich bin mir jetzt auf jeden Fall sicher, dass es sich lohnt, Fremdes reinzulassen. Es lohnt sich, fremden Menschen etwas von sich zu zeigen ohne zu wissen, was dabei herauskommt. Ziemlich sicher springen nicht immer Stulpen dabei heraus. Aber es geht auch nichts verloren. Zurückweisung ist kein Beinbruch, keine Liebesamputation. Im schönsten Fall zeigt sich das Gegenüber auch. Vielleicht nur ein bisschen. Vielleicht reicht das aber schon aus, um neue Perspektiven zu gewinnen und sich selbst in einem anderen Licht zu sehen. Sich selbst ein bisschen weniger fremd zu werden. Danke Hilde, dass du mir Lust aufs Fremde gemacht hast.