Was sich Frau E. wünscht, ist so viel mehr als ein Groschenroman
Kennst du die Caritas Christkindlbrief-Aktion? Gibts schon seit einigen Jahren. Bewohner von Caritas-Einrichtungen schreiben Briefe ans Christkind. Wer auch immer später einen Brief bekommt, darf den darin enthaltenen Weihnachtswunsch erfüllen. Stifte, Bücher, Dreiräder und so weiter. Alles dabei, alle glücklich. Ist meiner Meinung nach eine sehr persönliche und liebevolle Geschichte. Darum wollte ich auch dabei sein. Caritas-Bewohnern helfen, ihre Wünsche zu Papier zu bringen.
So stand ich irgendwann Anfang Oktober, ausgestattet mit buntem Papier und Stiften im Seniorenhaus St. Bernadette . Mir war schnell klar, dass ich nicht mit einer Sackladung Briefe nach Hause gehen werde. Schon beim ersten Brief habe ich mich mit einer Bewohnerin festgesabbelt. Knapp eine Stunde lang talk, talk, talk. Klarinettenunterricht in den 40ern, Ehe-Streit am Campingplatz und so weiter. Ach, ich liebe Alte-Leute-Geschichten. Mit dem ersten fertigen Brief und Wunsch in der Tasche („Groschenroman, schön dick“) gings dann weiter zu Frau E. „Die redet gern“, hat ein Pfleger beim Fruchtjoghurtausteilen gesagt. Ok für mich. Also rein ins Zimmer um die Ecke, weil Frau E. nicht mobil ist.
Die nächsten zweieinhalb Stunden werden mir lange in Erinnerung bleiben. Frau E. lag in ihrem Bett und hat sich nur sehr langsam zu mir umgedreht. Mit den eingefallenen Wangen und dem sehr blassen Teint hat sie mich ein bisschen an ein Gespenst erinnert. „Grüß Gott, wer sind denn Sie?“ Höfliches Gespenst. Und gut gebildet. Frau E. hat Zeit ihres Lebens als Professorin für Pädagogik gearbeitet. Obwohl Sie sehr langsam und auch leise gesprochen hat, wirkte es zwischendurch so als hätte sie immer noch Spaß am Lehren. Darum, und weil sie selbst auch nicht wirklich schreiben konnte, habe ich ihr die Freude eines Diktats gemacht. Frau E. hat mir ihren Wunsch ans Christkind ganz gemächlich diktiert. Weil weder ich noch irgendjemand sonst diesen Wunsch so einfach erfüllen kann, habe ich Frau E. versprochen, dass ich ihren Brief andere Leute lesen lasse. „Das sollen möglichst viele wissen und befolgen“, hat Frau E. gesagt als ich zwei A4 Seiten vollgeschrieben hatte. Hiermit löse ich mein Versprechen ein:
Liebes Christkind,
der Vorschlag wird dich überraschen: bitte gib dem Bildungsministerium die Idee, möglichst an jeder TU eine Schul- und Internatbau-Abteilung einzurichten. In der englischen Schule, an der ich ein Jahr lang unterrichtete – man sagte mir, das sei normal – war nur die kleinere Hälfte des Schulgeländes verbaut. Der größere Teil war solider englischer Rasen, der in der 10 Uhr Pause, noch mehr natürlich in der langen Mittagspause, beste Dienste leistete. Um nicht nur die körperliche Erholung der Kinder zu fördern, sondern die Schüler zu Spiel und Spaß anzuregen. Bei uns denkt man noch immer, das Schulgebäude sei für fünf bis sechs Stunden am Vormittag gebaut. Den Nachmittag haben wir peinlich genau aus dem Ausland übernommen. Die frische Luft hingegen kann man suchen. Es fehlt das Bewusstsein, dass ein Kind nur bei selbstgewählter Freizeitbeschäftigung während der Mittagspause an der frischen Luft mit Lust und Liebe lernen kann. Ich habe mich intensiv mit den Lehrplänen von vier bis zwanzig Jahren auseinandergesetzt, fand aber nirgends eine Anregung, beim Ankauf eines Grundstücks für die Schulbauvergrößerung zuerst an eine Grünfläche zu denken. So als seien sie nur ab einer gwissen Größe in barem Dollar zu bemessen. Bitte, liebes Christkind, sorg dafür, dass nicht erst unsere Nachfahren in 150 Jahren in den Genuss dieser Neuerung kommen.
Wenn du jetzt Lust bekommen hast, einen Wunsch zu erfüllen, der nicht so groß und hehr wie der von Frau E. ist, schau dich auf der Seite der Caritas um. Ab dem 08.11. kannst du heuer Briefe bestellen. Wenn du dem Wunsch von Frau E. etwas abgewinnen kannst, schreib deine Gedanken zum Thema hier unten in die Kommentare. Ich würde mich riesig freuen, den Wunsch gemeinsam am Leben zu halten.