Wie ich Freies Radio schätzen gelernt habe und warum bei Radio ORANGE 94.0 vielleicht bald Sendeschluss ist
Ich bin 36 Jahre alt und komme aus dem Ruhrgebiet. Auditiv bin ich aufgewachsen mit Hörspielkassetten und lupenreinem Mainstreamradio. Im Auto liefen 1LIVE und WDR 2, wenn mein Vater gefahren ist und WDR 4, wenn meine Mutter am Lenkrad saß. Dass es anderes Radio gibt, habe ich zum ersten Mal gecheckt, als ich den Gottschalk-Krüger-Film „Piratensender Powerplay“ gesehen habe. „Tommy“ und „Mike“ senden aus einem provisorischen Studio ihre eigene Sendung, weil ihnen das Programm des Bayerischen Rundfunks zu Mainstream ist. Abseits davon, dass ich mir den Film mittlerweile echt nicht mehr angucken kann, weil er so dermaßen platt und zotig ist, habe ich etwas mitgenommen: Man muss nicht zwangsläufig hinnehmen, was einem auf die Ohren gesetzt wird.
Während meines Journalismus-Studiums in Graz habe ich dann freies Radio kennengelernt. Radio Helsinki war für einige Kommiliton:innen ein Spielplatz zum Ausprobieren von Inhalten und Formaten. Ich hab da gerne reingehört und fand die Leute, die Helsinki möglich gemacht haben, auch immer irgendwie cool (deutlich cooler als Tommy und Mike). Was freies Radio bedeutet und warum es wichtig ist, habe ich erst verstanden, als ich ehrenamtlicher Interviewer für den Caritas-Podcast Faltenrock FM geworden bin. Faltenrock FM wird nämlich nicht nur auf allen möglichen Podcastplattformen ausgestrahlt, sondern auch einmal pro Monat bei Radio ORANGE 94.0.

Radio ORANGE gehört zum VFRÖ, dem Verband Freier Radios Österreich. Wie alle anderen 16 freien Sender versteht sich Radio ORANGE als Beteiligungsmedium. Das ist durchaus ernst gemeint. Jede:r kann eine eigene Sendung on air bringen. Dafür muss man an einem Grundkurs teilnehmen, wo alle Basics vermittelt werden – von der Aufnahme über Studioarbeit bis hin zur Audiogestaltung und Medienrecht. Ich durfte dank Faltenrock FM selbst bei so einem Grundkurs dabei sein und obwohl ich schon einiges im Audiobereich gemacht habe, habe ich da ne Menge mitgenommen. Die Teilnahmegebühr für den Grundkurs ist sozial gestaffelt und selbst für jene, die wenig haben, leistbar.
Auf dem Weg zur eigenen Sendung brauchts dann noch ein Sendungskonzept (dafür gibt es eine Vorlage von Radio ORANGE) und eine Nullnummer, also eine beispielhafte Episode, die nicht zwangsläufig ausgestrahlt werden muss. Dafür stellt Radio ORANGE Equipment zur Verfügung. Vier mal im Jahr sitzen die von den Sendungsmacher:innen gewählten Gremien zusammen und entscheiden anhand der Charta der freien Radios Österreich und des Ehrenkodex für die österreichische Presse, welche Sendungen an den Start gehen.
In den vergangenen 27 Jahren, sind so laut Radio ORANGE mit 850 Radiomacher:innen 220 Sendereihen in 22 Sprachen entstanden. Ab und zu lass ich den ganzen Spaß einfach per Online-Player laufen, bei ein paar Sendungen höre ich ganz gezielt zu: Freitagmorgens pfeif ich mir z.B. oft den arabischen Morgen von Hassan rein, am Freitagabend die Bars für Bitches und Samstagabends – wenn ich nicht unterwegs bin – das Musikbeisl. Eine Sache ist sicher: Egal, wann ich Frequenz 94.0 FM aufdrehe, ich höre so gut wie immer etwas, das ich noch nicht kenne, oder worüber ich mir noch keine Gedanken gemacht habe. Es ist also ein kleines Ohr zur Welt für mich.
So frei Radio ORANGE ist, frei von Förderungen ist es nicht. Wie viele andere Kulturinitiativen ist es von den massiven Budgetkürzungen betroffen. Die Förderung der Wiener MA13 soll 2026 massiv gekürzt und 2027 gestoppt werden. Vor zwei Wochen habe ich per Newsletter den „Notruf“ von Radio ORANGE erhalten: Der Wegfall der Förderung sei existenzgefährdend.
Es gibt genug Vereine, Institutionen und Initiativen im Kulturbereich, die gerade um Unterstützung bitten, damit sie überleben. Da gibt es gesellschaftlich, strukturell etwas zu tun (dieser offene Brief ist vielleicht ein erster Schritt). Im Fall von Radio ORANGE mag ich dich einladen, ab und zu mal reinzuhören, wenn du Zeit und Muße hast. Wenn es dir ähnlich wie mir geht, du etwas Neues über die Welt hörst und findest, dass das wertvoll ist, überleg dir, ob ein freier Radiobeitrag für dich in Frage kommt.